J. Dendorfer u.a. (Hrsg.): Nach dem Basler Konzil

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Titel
Nach dem Basler Konzil. Die Neuordnung der Kirche zwischen Konziliarismus und monarchischem Papat (ca. 1450–1475)


Herausgeber
Dendorfer, Jürgen; Märtl, Claudia
Reihe
Pluralisierung und Autorität 13
Erschienen
Berlin 2008: LIT Verlag
Anzahl Seiten
456 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas Woelki, Mittelalterliche Geschichte II, Humboldt-Universität Berlin, Institut für Geschichte

Das Ringen um die innere Verfasstheit der Kirche und ihre Präsentation nach aussen fand nach dem Ende des Basler Konzils vor allem an der Kurie eine Fortsetzung. Im direkten Umfeld des Papstes blühten konziliaristische und monarchistische Ideen weiter und hielten eine intensive Reformdiskussion am Leben, die freilich nicht mehr mit derselben Aggressivität und Kompromisslosigkeit der materialgewaltigen Traktate und Reden der 1430er und 1440er Jahre geführt wurde, sich aber auch nicht vollkommen auf die Ebene der glattgeschliffenen Humanistenrede verlagerte. Predigten, Traktate, Memoranden, päpstliche Bullen und Wahlkapitulationen argumentierten vielmehr weiterhin in traditionell scholastistischen Bahnen für eine innerkirchliche Erneuerung. Zahlreiche dieser in der Forschung bislang weitgehend unbeachteten und vielfach nicht einmal inhaltlich erschlossenen Texte waren Gegenstand einer Tagung, die im Oktober 2006 Theologen, Juristen und Historiker, international ausgewiesene Experten für Spätmittelalter, Konziliarismus und politische Theorie, am Münchner Historischen Kolleg zusammenbrachte. Das Ergebnis liegt nun in einem zügig und sorgfältig zur Drucklegung gebrachten Tagungsband vor.

Im Zentrum steht die ekklesiologische Diskussion an der Kurie, getragen von hochrangigen Gelehrten wie Nikolaus von Kues, Teodoro de’ Lelli und Domenico de’ Domenichi und die hierfür prägenden strukturellen Faktoren wie das römische Verlagswesen oder die kurialen Behörden. Besonders der Pontifikat Pius’ II. (Enea Silvio Piccolomini), dessen Lebensweg und Werk sinnbildlich für Kontinuitäten und Brüche zwischen konziliaristischem Reformidealismus und monarchischer Restauration steht, wird in verschiedenen Beiträgen genauer betrachtet. Den vieldiskutierten Wandel vom «Aeneas» zum «Pius» untersucht Simona Iaria, wobei eine Durchsicht der in Basler Zeit niedergeschriebenen ekklesiologischen Argumente keineswegs für eine «Kühnheit in Piccolominis Vorgehen» (S. 108), sondern eher für ein Mitschwimmen im konziliaristischen Mainstream spricht. Die Behauptung Pius’ II., die kurialen Konsistorialadvokaten würden interne Kontrollfunktionen übernehmen, veranlasst Claudia Märtl zu einer grundlegenden Untersuchung der Funktionen und des Amtsverständnisses der Konsistorialadvokaten aus grösstenteils bislang unerschlossenen Quellen. Obwohl unter ihnen eine ganze Reihe bedeutender Juristenpersönlichkeiten waren, sind umfassende ekklesiologische Entwürfe eher ausserhalb dieses Karriereabschnitts entstanden und gehörten wohl nicht zum typischen Tätigkeitsprofil der Konsistorialadvokaten, die eben noch kein homogenes Kollegium bildeten, sondern lediglich eine gemeinsame Akkreditierung besassen.

Mehrere Studien betrachten die während des Pontifikats Pius’ II. verfassten Reformschriften. Jürgen Miethke analysiert zwei etwa gleichzeitig entstandene Reformentwürfe des Nikolaus von Kues und des Domenico de’ Domenichi und stellt fest, dass die Vorschläge kaum strukturelle und institutionelle Fragen berühren, sondern meist gegen moralische und sittliche Ausuferungen anschreiben. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Martin F. Ederer anhand einer für die Reformdiskussion bislang noch zu wenig ausgewerteten Quellengattung, der Predigten des Domenico de’ Domenichi. Den Traktat ‘de episcopali dignitate’ desselben Kurientheologen, der die ekklesiologische Diskussion an der Kurie zwischen 1450 und 1470 wie kein zweiter begleitete, analysiert Jürgen Dendorfer: Anlass des Textes war der bereits seit Jahrzehnten schwelende Präzedenzstreit der Bischöfe mit den kurialen Protonotaren, den Pius II. schliesslich anlässlich des Fürstenkongresses von Mantua 1459 zugunsten der Mitraträger entschied. Damit übernahm der Piccolomini-Papst nicht nur eine bereits auf dem Basler Konzil getroffene Entscheidung, sondern lieferte ein Musterbeispiel für die Reformfähigkeit der Kurie. Im zweiten Teil des Traktats versucht Domenichi, die Sprengkraft zu entschärfen, die seine gegen die Protonotare gerichteten episkopalistischen Argumente gegen die Autorität der Kardinäle entwickeln konnten. Dass er damit langfristig an der Kurie nicht konsensfähig bleiben konnte, ist nicht zuletzt kühnen Vorstössen eines Teodoro de’ Lelli geschuldet, dessen Werk Thomas Prügl analysiert. Die teilweise polemischen und im Ideenhorizont ihrer Zeit radikalen Schriften des jungen Juristen, der sogar einen Juan de Torquemada auf breiter Front attackiert, markieren einen richtungweisenden Vorstoss zur Eliminierung der Reste einer kollegialen Kirchenverfassung in der kurialen Ekklesiologie, die einen ab dem Pontifikat Pauls II. spürbaren Paradigmenwechsel einleitete.

Eine ganze Reihe der Beiträge analysiert nicht das Werk einzelner Autoren, sondern die strukturellen Bedingungen der ekklesiologischen Diskussion. Concetta Bianca sucht Handschrifteninventare kurialer Persönlichkeiten und römischer Klosterbibliotheken systematisch nach ekklesiologischen Taktathandschriften und Texten des Basler Konzils ab und spricht von einer veritablen damnatio memoriae konziliaristischer Texte (S. 236). Anhand von historiographischen und literarischen Texten sowie kunsthistorischen Zeugnissen und zeremoniellen Gesten zeigt Anna Modigliani eine vorübergehende Abkehr von kaiserlich-konstantinischen Repräsentationsstrategien des Papsttums auf. Demgegenüber belegt Duane Henderson, dass der Fälschungsnachweis der Konstantinischen Schenkung in der juristischen Traktat- und Kommentarliteratur weitgehend ignoriert wurde. Die hieraus abgeleitete These, man habe stets nur Argumente aus einer klar definierten Tradition verwertet und sei für Neues nicht empfänglich gewesen, sollte allerdings nicht zu einer Annahme einer Stagnation der Rechtsfortbildung führen, wie sie die ältere rechtshistorische Forschung vielfach postuliert hatte. Die Fälschungskritik geschah immerhin in Texten, deren Autorität sich für zeitgenössische Juristen höchst suspekt darstellen musste.

Mit den Papstbullen, Wahlkapitulationen, Konsitorialurkunden und Zeremonialordnungen werden im Folgenden wichtige Quellentypen auf ihre ekklesiologische Aussagekraft befragt. Helmut G. Walthers genaue Analyse der berühmten Bulle ‘Execrabilis’ liefert zudem umfassende Deutungsangebote der ekklesiologischen Strategie des Papsttums nach dem Basler Konzil sowie eine Begriffsanalyse zum Paradigma «Konziliarismus». Die nicht immer in vollem Umfang umgesetzten und zunehmend als unverbindlich betrachteten Programme der Wahlkapitulationen zeugen für Hans-Jürgen Becker dennoch von einem ernsthaften Reformbemühen und einer dauerhaften Präsenz des Konzilsgedankens. Die gängige Praxis, den Konsens des Papstes mit den Kardinälen durch Unterschriften auf Konsistorialurkunden darzustellen, erweist sich in der Analyse von Thomas Michael Krüger keineswegs als Ausdruck einer echten Mitwirkung der Kardinäle als Korrektiv päpstlicher Politik. Nikolaus Staubach zeigt hingegen, dass das in den Basler Reformdekreten propagierte altkirchliche Konzept der «Tugendrepräsentation», dem es mehr auf die Demonstration der moralischen Integrität des Papstes und der kurialen Amtsträger ankam als auf eine Repräsentation von Rang und Würde, auch in der kurialen Reformdiskussion noch lange fortwirkte.

Ergänzt wird die römische Perspektive durch zwei Beiträge, die sich mit ekklesiologischen Konzepten an der Peripherie beschäftigen. Rolf de Kegel, Editor des Spätwerks des wohl bedeutendsten Theologen des Basler Konzils, Johannes von Segovia, zeigt, dass die wohl nachhaltigste ekklesiologische Verschiebung der Konzilszeit, die von Jürgen Dendorfer und Thomas Prügl anhand der kurialen Diskussion nachgewiesene Neubewertung des Bischofsamtes, auch Hauptanliegen des ehemaligen Konzilstheologen war. Die von Thomas Wünsch vorgeschlagene Konstruktion eines «Postkonziliarismus», dessen verbindendes Merkmal eine eher vom Institutionell-Formalen abgewandte und stärker auf Eigenverantwortung der Gläubigen und ‘innere Reform’ setzende Synthese papalistischer und konziliarister Ansätze sei, passt im Wesentlichen mit Jedins «Selbstreform der Glieder» zusammen, die nach dem Basler Konzil die Reformdebatte bestimmt habe1, und wird grundsätzlich auch durch die Ergebnisse der Beiträge von Jürgen Miethke und Martin F. Ederer bestätigt. Neben dem in der deutschsprachigen Forschung wenig rezipierten Petr Chelcˇ ický untersucht Wünsch einen bislang unbekannten Traktat des Kartäusers Bartolomäus von Maastricht. Der auf 1446 datierte Text präsentiert sich als eine Replik auf einen nicht genannten Ordensbruder, der entgegen der offiziellen Linie der Kartäuser die konziliaristischen Grundannahmen angriff. Obwohl es Wünsch gerade auf die Position des Anonymus ankommt (S. 30), unternimmt er keinen Versuch der Identifikation. Entstehungszeit und Inhalt der referierten Positionen legen jedoch den Schluss nahe, dass es sich hier um eine Replik auf die ersten beiden Bücher des Konzilstraktats Dionysius’ des Kartäusers handeln dürfte, der als langjähriger Roermunder Mitbruder gegen seinen Prior Bartolomäus zur Feder griff und sich eben 1446 ein von diesem initiiertes Disziplinarverfahren einhandelte.2 Die Bartolomäus-Dionysius-Kontroverse jedenfalls verdient längst eine umfassende Untersuchung, die Grundlage einer Arbeit ‚Die Kartäuser und der (Basler) Konziliarismus’ sein könnte.

Eine Zusammenfassung von Franz Fuchs, ein Handschriftenverzeichnis (leider ohne Seitenzahlen) und ein Personen- und Ortsregister runden den sorgfältig gearbeiteten Band ab, der insgesamt durch eine Vielzahl von magistralen und sich gegenseitig ergänzenden Studien aus der Riege der Tagungsbände herausragt und Ausgangspunkt und Grundlage jeder weiteren Erforschung der ekklesiologischen Diskussion nach dem Basler Konzil sein wird.

1 Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. I, Freiburg 1949, S. 111–132.
2 Siehe Dirk Wassermann, Dionysius der Kartäuser. Einführung in Werk und Gedankenwelt (Analecta Cartusiana 133), Salzburg 1996, S. 206f.

Zitierweise:
Thomas Woelki: Rezension zu: Jürgen Dendorfer, Claudia Märtl (Hg.): Nach dem Basler Konzil. Die Neuordnung der Kirche zwischen Konziliarismus und monarchischem Papat (ca. 1450–1475) (Pluralisierung und Autorität, Band 13), Berlin, LIT Verlag, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 4, 2009, S. 468-471.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 4, 2009, S. 468-471.

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